Integriertes oder Best-of-Breed-Outsourcing?
EINE ÖKONOMISCHE ANALYSE VON THORSTEN WINKELMANN, PRESIDENT HEALTHCARE
Bei der Gestaltung und Optimierung von Wertschöpfungsketten ist das Outsourcing von (Kontrakt-)Logistikaktivitäten heute eine Selbstverständlichkeit. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die keine Bindungen an eine bestehende Infrastruktur haben. Waren es in der Vergangenheit meist Unternehmen, die ihren Stammsitz außerhalb Europas – insbesondere in den USA, Japan oder Südkorea – haben, kommt Logistikoutsourcing heute prinzipiell und praktisch für alle Unternehmen als Option infrage.
Die klassischen Gründe für ein Logistikoutsourcing liegen in der Realisierung von Skaleneffekten, Lohnkostenvorteilen, der Nutzung von funktionsspezifischem Know-how des Dienstleisters und der entsprechenden Innovationsfähigkeit sowie der Konzentration der Managementaktivitäten auf die jeweiligen Kernkompetenzen. Die erste Outsourcingwelle ab Anfang der 1990er Jahre wurde dabei wesentlich durch Lohnkostenvorteile getrieben, die zweite Welle stärker dadurch, das fachliche und Management- Know-how der Dienstleister zu nutzen. Aktuell befindet sich die Industrie in einer dritten Outsourcingwelle, bei der es darum geht, integrierte Prozessketten und ganze geographische Netzwerke an Dienstleister auszulagern, und nicht nur einzelne Aktivitäten wie das Warehousing in einem Land. Damit stellt sich die Frage nach den „Economics“ dieses Trends und warum diese gerade jetzt zum Tragen kommen. Der britische Ökonom G. B. Richardson hat 1972 bereits sehr grundsätzlich gezeigt, nach welchen Kriterien Aktivitäten innerhalb eines Unternehmens ausgelagert und dann entsprechend über den Markt oder zwischenbetriebliche Kooperationen koordiniert werden sollten*.
[*G. B. Richardson, The Organisation of Industry, in: The Economic Journal, Vol. 82, No. 327 (Sep., 1972), pp. 883-896]
Neben der Affinität der Fähigkeiten, die vereinfacht mit ähnlichem Know-how und im Ergebnis mit Skaleneffekten gleichgesetzt werden können, also die bereits genannten klassischen Outsourcing-Gründe, betont er die Komplementarität der Aktivitäten. Eine hohe Komplementarität besteht, wenn zwischen zwei Aktivitäten viele Schnittstellen existieren sowie komplexe und häufig wiederkehrende Abstimmungsprozesse erforderlich oder wirtschaftlich sinnvoll sind, auch wenn hohe ein- oder wechselseitige Abhängigkeiten bestehen, insbesondere durch spezifische Investitionen.
Integrierte Prozessketten outsourcen
Nach dieser theoretischen Klärung der „Economics“, stellt sich nun die Frage nach deren Bedeutung für die logistische Outsourcing-Praxis. Um dies zu veranschaulichen, seien zunächst die Aktivitäten aufgeführt, die neben dem Warehousing als Kernaktivität der Distributions-Kontraktlogistik ausgelagert werden können:
- Warehousing (als Kern- und damit Ankeraktivität)
- Transport
- Order und Cash Management
- Field Inventory Management
- Quality Assurance
- Reporting und Business Intelligence
- Manufacturing, Postponement
- Returns und Repair-Aktivitäten
- IT (entsprechend zu den jeweiligen Aktivitäten)
Wie nun real die Wertschöpfungsketten und ihre Koordinationsstrukturen aussehen, wird wesentlich von den Auslagerungsentscheidungen des Auftraggebers determiniert. Üblicherweise führen die Auftraggeber – meist Industrieunternehmen, Markenartikler, vertikalisierte Händler – die zuvor genannten Aktivitäten nur für den Eigenbedarf durch und können damit per Definition nur in begrenztem Umfang Skalenvorteile realisieren. In der Regel werden diese Unternehmen über keinen Know-how-Vorsprung in den jeweiligen Disziplinen verfügen, ihn halten oder gar aufbauen können. Von daher macht ein Outsourcing der einzelnen Aktivitäten Sinn, es sei denn, es gibt innerhalb des Auftraggeber-Unternehmens signifikante Komplementaritäten und Schnittstellen zu weiteren Aktivitäten, beispielweise zwischen Vertrieb- und Ordermanagement.
Kommt ein Unternehmen aufgrund dieser Analysen zu dem Schluss, mehrere der oben genannten Aktivitäten auszulagern, stellt sich die Frage nach einem Best-in-Breed-Outsourcing für jede einzelne Funktion an den dafür jeweils besten Anbieter oder dem Outsourcing gesamter integrierter Prozessketten an einen Dienstleister. Denn auch zwischen den einzelnen Aktivitäten bestehen entsprechende Komplementaritäten. Kunden- und Artikelstammdaten werden in praktisch allen Aktivitäten benötigt; Aufträge werden zu Lieferungen, Lieferungen zu Transporten; Bestände lassen sich besser optimieren, wenn sämtliche Lagerorte inklusive der Bestände am Verbrauchsort bekannt sind und diese Informationen in die Produktionssteuerung einschließlich Postponement integriert werden. Die Liste an Beispielen ließe sich fortsetzen, detaillieren und spezifizieren.

Der Vorteil beim Outsourcing integrierter Prozessketten an einen Partner ist, dass ein Dienstleister die betreffenden Aktivitäten standardisiert betreibt. Schnittstellen müssen somit nur einmalig aufgebaut werden, Kosten werden reduziert.”
Best-in-Breed hat den Vorteil, dass das Preis-Leistungsverhältnis für die jeweilige outgesourcte Leistung optimal ist. Dem stehen jedoch viele unternehmensübergreifende Schnittstellen gegenüber, die – je nach Komplementarität der Aktivitäten – einen unterschiedlich hohen, zusätzlichen Steuerungsaufwand und somit Kosten verursachen. Hinzu kommt, und dieser Aspekt ist oft noch wichtiger, dass so eine Komplexität entstehen kann, die zu Reibungen, hohen multilateralen Abstimmungsbedarfen, unterschiedlichen Interessen und Prioritäten, unklaren Verantwortlichkeiten und letztendlich verzögerten Aktionen und Reaktionen im Wettbewerb führt, und mitunter gar nicht mehr beherrschbar ist.
Das Outsourcing integrierter Prozessketten vermeidet diese Komplexität. Der ökonomische Vorteil in der Vergabe ganzer Prozessketten liegt darin, dass ein entsprechend aufgestellter Dienstleister die betreffenden Aktivitäten nach dem Baukastenprinzip standardisiert betreibt und vor allem Schnittstellen zwischen diesen Aktivitäten nur einmal aufbaut und somit erhebliche Economies of Scale realisieren kann. Durch das baukasten-standardisierte Vorgehen erhält jeder Kunde seine sehr individualisierte Dienstleistung, was wiederum die Wirtschaftlichkeit des Outsourcings erhöht und so die Fremdvergabe an sich fördert. Dies führt wiederum zu höheren Economies of Scale, von denen alle Beteiligten profitieren. Es klingt paradox, aber Individualisierung ermöglicht so erst die Skaleneffekte.
Bei der Entscheidung zwischen Best-in-Breed und integriertem Outsourcing geht es somit um ein Abwägen der Vorteile zwischen optimalen Einzelaktivitäten und den zusätzlichen Kosten der unternehmensübergreifenden Koordination der Aktivitäten. Damit ist auch klar, dass es keine für alle Fälle optimale Lösung gibt. Vielmehr gilt es zu fragen, unter welchen Umständen welcher Ansatz geeignet ist. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass in eher statischen Umwelten, in denen Kosteneffizienz üblicherweise ein entscheidender Wettbewerbsfaktor ist, tendenziell ein Best-in-Breed- Outsourcing geeigneter erscheint, denn über die Zeit lassen sich bei klar definierten und sich wenig verändernden Anforderungen die Kosten der unternehmensübergreifenden Koordination optimieren. Vor allem aber können sich einmal zwischen den Aktivitäten aufgebaute Schnittstellen über einen längeren Zeitraum hinweg amortisieren.
In dynamischen und für den Auftraggeber unbekannten Märkten hingegen ist ein Outsourcing integrierter Prozessketten vorteilhaft, beispielsweise wenn
- neue Vertriebskanäle erschlossen werden (Direktvertrieb, E-Commerce),
- neue Produkte mit eigenen Vertriebskanalanforderungen eingeführt werden,
- neue geografische Märkte erschlossen werden (Markteintritt von asiatischen oder amerikanischen Unternehmen in Europa),
- akquirierte Unternehmen integriert werden oder
- bestehende Distributions- und Logistiknetzwerke transformiert werden.

Letztendlich geht es hier jeweils um die Reduzierung der Komplexität aus Sicht des Auftraggebers, die sich zum einen in Geschwindigkeitsvorteilen und zum anderen in der Nutzung des Dienstleister-Know-hows in einschlägigen Projekten und dem Management eines großen Teilprojekts im Gesamtprojekt des Auftraggebers niederschlägt. Für den Pharma- und Medizintechniksektor lässt sich vor diesem Hintergrund beispielsweise feststellen, dass das Outsourcing integrierter Prozessketten aktuell an Bedeutung gewinnt. Neue, im weitesten Sinne personalisierte Medizin, Direktvertrieb, die Regionalisierung der Logistikstrukturen in Europa weg von nationalen Logistiklösungen seien hier als Stichworte genannt.
Ganze regionale Netzwerke an einen strategischen Partner outsourcen
Neben der Frage des Outsourcings integrierter Prozessketten, ergibt sich mit der Regionalisierung der Logistikstrukturen eine weitere Dimension mit ähnlicher Fragestellung: Soll auf Best-in-Breed-Dienstleister in jedem Land gesetzt werden oder die Vergabe einer ganzen Region wie Europa an einen strategischen Partner erfolgen? Im Kern geht es bei der Regionalisierung von Logistikstrukturen darum, dass die Supply Chain nicht je Land in Hinblick auf Bestände, Verfügbarkeit und Kosten optimiert wird, sondern umfassend für die gesamte Region. Im Ergebnis kann es zu reinen Zentrallagern, Hub & Spoke-Zentren oder mehreren vollstufigen Lagern in der Region kommen. Insbesondere Zentrallagerkonzepte lassen sich sinnvoll mit Field Inventory Management-Konzepten wie Konsignationslagern und Forward-Stocking-Locations kombinieren, um so Bestände gesamthaft bei höchster Produktverfügbarkeit zu kombinieren.
Das Kalkül, im Falle von mehreren Lagern in der Region und gegebenenfalls Field Inventory Management-Konzepten jeweils einen lokalen Best-in-Breed-Anbieter zu nutzen oder das gesamte Netzwerk an einen strategischen Partner auszulagern, wird wesentlich durch mögliche Economies of Scale in Funktionen bestimmt, die landes- und standortübergreifend sind. Konkret geht es um die IT, das Management der Kunden- Lieferanten-Beziehung insbesondere auch in Hinblick auf die regelmäßige kennzahlenbasierte Steuerung des Geschäftes (Reporting) sowie im Healthcare-Sektor auch um das Qualitätsmanagement. Es geht allerdings nicht allein um die Kostendegression in diesen Funktionen, sondern auch um Transparenz, beispielsweise von Beständen und Absatzzahlen nach Vertriebskanälen, um Geschwindigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit (Compliance).
Grundsätzlich liegt es nahe, beim Outsourcing des kompletten Netzwerkes an einen strategischen Partner auch die Nicht-Warehousing-Aktivitäten für eine gesamte Region an diesen auszulagern. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass gerade in Funktionen wie Order und Cash Management lokale Best-in-Breed-Anbieter eine bessere Kenntnis der nationalen Märkte und Geschäftsgebaren haben können als multinationale Dienstleister. Neben der Gestaltung der Wertschöpfungsaktivitäten, zum Beispiel zentrales vs. lokales Ordermanagement, ist dann abzuwägen, ob die Economies of Scale in Zentralfunktionen und weitere zentrale Governance-Aspekte die Best-in-Breed-Vorteile lokaler Anbieter überkompensieren. Letztendlich spielt es auch eine Rolle, wie schnell ein strategischer Partner das lokale Know-how aufbauen und somit die Lücke zumindest weitgehend schließen kann.

Fazit und Ausblick: die Rolle neuer Technologien
Getrieben wird die dritte Logistik-Outsourcingwelle aktuell durch neue, direkte Vertriebskanäle, innovative und komplexe Produkte, M&A-Aktivitäten seitens der Auftraggeber, intelligente und digitalisierte Systeme in Logistik und Supply Chain inklusive der damit verbundenen Investitionen sowie durch zunehmend komplexere Governance- und Compliance-Anforderungen. Dabei werden zunehmend integrierte Prozessketten und ganze regionale Netzwerke an einen strategischen Partner ausgelagert. Ob und inwieweit neue Technologien wie die Cloud und dadurch ermöglichte Services, Blockchain und die Uberisierung langfristig die Wertschöpfungs- und Koordinationsstrukturen der Logistik bestimmen, lässt sich heute noch nicht sagen. Einerseits ermöglichen sie die effiziente Abwicklung von Schnittstellen, was langfristig eher für Best-in-Breed-Konzepte spricht, andererseits müssen die Technologien erst einmal eingeführt und adaptiert werden, was kurz- und mittelfristig für eine strategische Partnerschaft mit einem integrierten Dienstleister spricht, der dies übernimmt.
Sie haben Fragen? Sprechen Sie mich an.

Dr. Thorsten Winkelmann
President - Healthcare